Auszug aus einem Artikel der Berliner Zeitung (Stand 18.11.2018):
Zalando ist mit seinen insgesamt 6.000 Mitarbeitern der größte Player unter den Berliner Unternehmen, die mal als Start-ups angefangen haben; Home24 hat in Berlin etwa 700 Mitarbeiter, Delivery Hero rund 1.200, dazu kommen noch 800 Fahrer.
Im Durchschnitt haben die Berliner Start-ups nur gut zwei Dutzend Angestellte. Das täuscht aber darüber hinweg, wie groß die Techszene in Berlin tatsächlich ist.
Die letzte fundierte Schätzung stammt aus dem Jahr 2016. Der Ökonom Hergen Wöbken, Leiter des Berliner Instituts für Strategieentwicklung (IFSE), veröffentlichte damals eine Studie zu den Start-ups der Stadt. Nach einer sehr engen Definition, in der nur Unternehmen gezählt wurden, die jünger als fünf Jahre waren und ihren Hauptsitz in Berlin hatten, kam Wöbken auf 620 Start-ups mit rund 13.000 Mitarbeitern. Zählte man ältere Start-ups wie Zalando, Babbel oder Soundcloud dazu, hatte die Techszene geschätzt rund 30.000 Angestellte und war damit schon 2016 der größte Arbeitgeber der Stadt. Heute, sagt Wöbken, dürften sich diese Zahlen noch mal verdoppelt haben.
Laut neuestem „Berliner Startup Monitor“ ist der typische Berliner Gründer 35 Jahre alt, hat ein Studium in Wirtschaftswissenschaften und ist ein Mann. Die Hälfte der Angestellten in Berliner Start-ups kommt aus dem Ausland. Sie konkurrieren auf dem Wohnungsmarkt mit Studenten, Familien und Rentnern, die über geringere Einkommen verfügen. Im „Start-up Guide“, eine Art Stadtführer für Techies, werden – nach einem Grußwort der Wirtschaftssenatorin – die günstigen Berliner WG-Zimmer (nicht mehr als 600 Euro!) und Einraumwohnungen (unter 800 Euro!) angepriesen und das Versprechen gegeben, dass man von 1.500 Euro geradezu dekadent in Berlin leben könne – vorausgesetzt wohl, man mietet keinen Arbeitsplatz im Mega-Co-Working-Space WeWork am Potsdamer Platz für 280 Euro im Monat.
Für Start-ups ist die Stadt eine wichtige Ressource. Sie zehren von Berlins Ruf, eine unangepasste Kreativmetropole zu sein. Zalando wirbt neue Mitarbeiter gezielt mit Berlin als Wohnort an. Die meisten bleiben nur für kurze Zeit. Start-ups – und Zalando insbesondere – sind bekannt für ihre hohe Mitarbeiterfluktuation, das ständige Kommen und Gehen trägt seinen Teil dazu bei, dass die Mieten in der Stadt in die Höhe schnellen.
„Mit der Digitalwirtschaft gibt es einen neuen Akteur in der Stadtentwicklung“, sagt Felix Hartenstein, „und in Berlin wird das besonders deutlich sichtbar.“ Hartenstein ist Stadtökonom, was bedeutet, dass er städtische Themen durch eine wirtschaftliche Brille betrachtet. Er hat VWL studiert und war danach wissenschaftlicher Mitarbeiter im Studiengang Urban Development an der TU Berlin. Zusammen mit dem Architekten Hans-Hermann Albers hat er das „Institut für Wirtschaft und Stadt“ gegründet; sie analysieren, wie Unternehmen Stadträume verändern – durch ihre Niederlassungen, durch ihre Dienstleistungen und Technologien.
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„Diese durchkuratierten Firmengelände simulieren Stadt“, sagt Hartenstein, „dort haben die Angestellten alles und brauchen die echte Stadt gar nicht mehr.“
Wobei die Firmen, die im Silicon Valley sitzen, ihre Mitarbeiter damit locken, dass San Francisco gleich um die Ecke liegt. Google holt seine Leute mit Bussen aus der Stadt ab. Aktivisten haben herausgefunden, dass in den Gegenden rund um die Haltestellen, an die Angestellten einsteigen, fast 70 Prozent aller Zwangsräumungen in San Francisco stattfinden. Die Mieten sind dort exorbitant gestiegen, ein Platz in einem Hochbett koste 1 400 Dollar im Monat, berichtet Hartenstein. Gleichzeitig gibt es fast genauso viele Multimillionäre wie Obdachlose.
„Techfirmen sorgen für Wohlstand“, sagt Hartenstein, „aber auch für Verdrängung und Segregation.“
Kreuzberg weckt bei einigen Tech-Unternehmen Begehrlichkeiten. Google wollte sich im alten Umspannwerk an der Ohlauer-Straße ansiedeln und Zalando mietet im großen Stil Büroflächen an. Neben dem ehemaligen Kaufhof am Ostbahnhof sollte auch die Cuvry-Brache als neuer Standort herhalten.
Was die Ansiedlung solcher Unternehmen für eine Stadt und einen Kiez bedeuten kann, zeigen wir hier am Beispiel San Francisco auf:
"Vor den Toren der Stadt liegt das Silicon Valley. Und alle, die dort arbeiten, wollen im hippen San Francisco wohnen. Google, Facebook und viele andere Tech-Unternehmen haben eigene Shuttle-Busse für Ihre MitarbeiterInnen, die sie ins Silicon Valley bringen. Das hat in der Stadt für viel Unruhe gesorgt, denn in der Nähe von den Bushaltestellen können Vermieter deutlich mehr Miete verlangen. Viele Menschen mit normalen Berufen wie Lehrer oder Busfahrer mussten aus der Stadt wegziehen.
Die Busse der Tech-Unternehmen sind inzwischen zum Symbol für die soziale Spaltung in der Stadt geworden. Für eine Zweizimmerwohnung müssen Interessenten ein Jahreseinkommen von mindestens 150.000 Dollar vorweisen können, für eine Dreizimmerwohnung mindestens 216.000 Dollar. Im November 2016 kostete eine Zweizimmerwohnung durchschnittlich 3.336 Dollar, eine mit drei Zimmern 4.469 Dollar.
San Francisco hat zu wenig bezahlbaren Wohnraum geschaffen, so dass selbst Schwangere und Frauen mit kleinen Kindern in Massenunterkünften leben müssen, da es keine freien Sozialwohnungen für sie gibt. Zwar spenden die Tech-Unternehmen Millionen Dollar für wohltätige Zwecke, aber sie erhalten auch Steuererleichterungen in Millionenhöhe von der Stadt."
Diese Entwicklung ist beängstigend. Sie darf sich nicht in unserer Stadt wiederholen. Gerade Unternehmen wie Google und Zalando haben eine soziale Verantwortung gegenüber den Menschen, die hier leben. Und da reicht es nicht aus, ein paar Euros an die Flüchtlingshilfe zu spenden und dadurch bedürftige Menschen gegen andere bedürftige Menschen auszuspielen!
Zur Berichterstattung über die geplante Ansiedlung von Google in Kreuzberg geht’s hier lang.
Weitere Infos zu den Aktivitäten von Zalando findet ihr auf der Seite von Bizim Kiez.